COVID-19-Infektionen erhöhen die Neuerkrankungsrate von Autoimmunerkrankungen
31. Januar 2023
Post-COVID ist zusätzlich zu den bereits bekannten Symptomen wie Geschmacksstörungen, Fieber, Husten und Atembeschwerden mit einem erhöhten Risiko für das Herausbilden von Autoimmunerkrankungen assoziiert. Die Arbeitsgruppe POINTED, unter Beteiligung der BARMER, hat diesen Zusammenhang in einer groß angelegten kontrollierten Kohortenstudie mit über 640.000 COVID-19-Erkrankten nachweisen können. Drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion wurden insbesondere Gefäßentzündungen (Vaskulitis), Hashimoto-Thyroiditis, Rheumatoide Arthritis und das Sjögren-Syndrom überproportional gehäuft gefunden. Die Ergebnisse für insgesamt 40 verschiedene Autoimmunerkrankungen sind nun als Preprint veröffentlicht.
„Post-COVID-19 Monitoring in Routine Health Insurance Data“ (POINTED) ist eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Universitätsklinikums Dresden/Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), des Robert Koch-Instituts, des Instituts für angewandte Gesundheitsforschung Berlin (InGef) und der Krankenkassen AOK PLUS, Techniker Krankenkasse, IKK classic, DAK-Gesundheit (Vertreten durch Vandage GmbH) und BARMER. Die Arbeitsgruppe forscht an fortbestehenden oder neu hinzukommenden Krankheitssymptomen nach einer mindestens drei Monate zurückliegenden SARS-CoV-2-Infektion (Post-COVID). Hierfür steht eine Datenbasis aus Routinedaten von 38,9 Millionen gesetzlich Versicherten zur Verfügung. Im Anschluss an die vor Kurzem bei PLOS Medicine veröffentlichte Studie über Post-COVID-assoziierte Symptome beschäftigt sich die Arbeitsgruppe in ihrer aktuellen Untersuchung mit der Verbreitung von Autoimmunerkrankungen nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Medizinische Studien zum Wildtyp des SARS-CoV2-Virus zeigen, dass gebildete Autoantikörper bei einem Teil der Infizierten eine Autoimmunerkrankung auslösen können. Erstmals wurde nun anhand von 640.000 Personen mit labormedizinisch nachgewiesener COVID-19-Erkrankung im Jahr 2020, darunter 76.000 mit vorbestehender Autoimmunerkrankung, die Häufigkeit des Phänomens ermittelt. In der Studie konnten nach einer SARS-CoV-2-Infektion 15,05 neue Autoimmunerkrankungen auf 1.000 Versichertenjahre (VJ) gefunden werden. Bei Menschen ohne eine SARS-CoV-2-Infektion lag dieser Wert bei 10,55. Damit ergab sich gegenüber der Bevölkerung mit gleichem Alter, Geschlecht und gleichen Vorerkrankungen ein um 43 % erhöhtes Risiko, nach einer SARS-CoV-2-Infektion eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln. Am absolut häufigsten entwickelten sich eine Hashimoto-Thyroiditis (4,41 je 1.000 VJ), Morbus Basedow (3,52 je 1.000 VJ), eine Psoriasis (3,52 je 1.000 VJ), die Rheumatoide Arthritis (2,43 je 1.000 VJ) und das Sjögren-Syndrom (1,24 je 1.000 VJ). Neben den Einzelerkrankungen traten Gefäßentzündungen (Vaskulitis) gehäuft auf. Relativ gesehen wurde vor allem ein Anstieg beim Risiko für Morbus Wegener (+151 %), Morbus Behcet (+142 %), Sarcoidosis (+114 %) und Guillain-Barré-Syndrom (+114 %) gefunden.
Der Schweregrad der SARS-CoV-2-Infektion hatte in der beobachteten Population einen bedeutenden Einfluss auf das Risiko für eine Autoimmunerkrankung. Darüber hinaus ergab sich kein signifikanter Einfluss über das Alter oder das Geschlecht der Patientinnen und Patienten. Das heißt, dass vor allem schwer Erkrankte und damit ältere Menschen ein besonders hohes Risiko für eine COVID-assoziierte Autoimmunerkrankung haben. Trotz der deutlichen Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und Autoimmunerkrankungen dürfen die Ergebnisse der Studie nicht als Beweis für die kausale Ursache der SARS-CoV-2-Infektion interpretiert werden. Es handelte sich nicht um eine randomisierte medizinische Studie. Insbesondere war die Information über die SARS-CoV-2-Infektion für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte nicht verblindet. Bei einer engmaschigeren Kontrolle der COVID-Patientinnen und -Patienten kann eine ansonsten ähnlich häufige Autoimmunerkrankung auch häufiger erkannt worden sein. Dennoch zeigen die Ergebnisse deutlich, dass für COVID-erkrankte Menschen eine erhöhte Krankheitslast für Autoimmunerkrankungen gegeben ist. Politische Entscheidungsträger sollten daher dieser Perspektive im Umgang mit dem Post-COVID-Syndrom besondere Beachtung schenken.
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